A. Hochreuter: Weißt du noch, warum du dich entschieden hast, Jura zu studieren?
J. Bahr-Jendges: Ja, das weiß ich genau. Ich begann damals, im Treblinka-Prozess, dem ersten großen KZ-Prozess in Düsseldorf zuzuhören, der nach meiner Erinnerung etwa gleichzeitig mit dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt lief. Den Treblinka-Prozeß in Düsseldorf – wir wohnten in Krefeld – führte der Lebensgefährte meiner Mutter als Vorsitzender Richter. Ich war regelmäßig, soweit zeitlich möglich, Prozessbeobachterin und ich nahm genau wahr, dass dies eine Gelegenheit war, einerseits meine eigene Geschichte aufzuarbeiten, weil ich Tätertochter bin, 1943 geboren, Tochter eines Nationalsozialisten aus dem Propagandaapparat, der Zeit seines Lebens Nationalsozialist geblieben ist, bis ins hohe Alter. Andererseits nahm ich genau wahr, dass dies die Gelegenheit war für die Republik des bürgerlichen Wiederaufbaus, die Verbrechen der Nazizeit als Geschichte, auf eine Bühne, nämlich vor Gericht zu stellen und der Geschichte einen Platz außerhalb der bürgerlichen Köpfe und Herzen zu geben, ohne innere Anteilnahme und Trauer, jedoch der Erwartung des Auslands nach Aufarbeitung des Geschehens nachkommend. Im Laufe dieses Prozesses, der mich sehr beschäftigt hat, – bzw. schon während der langen Vorbereitungszeit des Prozesses, die ich zu Hause mitbekam, – wuchs der Entschluss: Ich will Jura studieren, unter dem Motto: Ich will durchschauen, was um mich herum geschieht und was geschehen ist. Ich will verstehen. Später bin ich dann eine große Anhängerin von Hannah Arendt geworden und ihres grundlegenden Motivs: Ich will verstehen.