Die gesetzlichen Änderungen im Kindschaftsrecht, soweit sie die elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung betreffen, sind in dieser Zeitschrift ausführlich kommentiert und kritisiert wordenl. Als es dann am 1.7.1998 soweit war, habe ich nicht mit großen Veränderungen in meinem anwaltlichen Alltag gerechnet. Die Möglichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge bestand schließlich auch vorher schon. Daß die über die Kinder ausagierten Konflikte der sich trennenden Paare geringer werden würden, hatte ich nicht erwartet, aber doch angenommen, sie würden im Rechtsalltag eine geringere Rolle spielen und sich mehr in den nicht justiziablen Privatbereich verlagern.
Nach einem Jahr procedere unter dem neuen Kindschaftsrecht sehe ich mich gründlich getäuscht. Es gibt einen völlig neuen Typ Sorgerechtsverfahren und auch vor den Umgangsrechtsverfahren macht diese Entwicklung nicht halt. Eine erste Bestandsaufnahme ist angebracht.
Die Neuregelung der elterlichen Sorge enthält kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne, daß eine Prioritä tzugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge bestünde.
Urteil des BGH vom 29.9.1999 - XII ZB 3/99
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin (Mutter) und der Antragsgegner (Vater) streiten um die elterliche Sorge für ihre 1992 geborene Tochter. N. In dem Scheidungsverfahren hat die Mutter den Antrag gestellt, die elterliche Sorge für die Tochter auf sie (die Mutter) allein zu übertragen. Der Vater hat sich in erster Linie für die Fortdauer der gemeinsamen elterlichen Sorge ausgesprochen.
Aus den Gründen:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge beider Eltern und deren Übertragung auf die Mutter entspreche am besten dem Wohl des Kindes, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Gegen eine Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts spreche bereits, wenn auch nicht abschließend, der Umstand, daß sich die Eltern insoweit nicht einigen könnten. [...] Es sei Pflicht der Eltern, die mit der Trennung und Scheidung ihrer Ehe für das Kind verbundene Schädigung soweit als möglich zu mildern und vernünftige, den Kindesinteressen entsprechende Lösungen für seine Pflege und Erziehung sowie seine weiteren persönlichen Beziehungen zu ihnen zu entwickeln.
Oder: Was aus der Eherechtsreform geworden ist? Oder: Wie wir uns über die Eherechtsreform geirrt haben?
Die Eherechtsreform vom 14.7.76, beraten seit 1973, ist in Kraft getreten am 1.7.77. 20 Jahre nach der Bereinigung des Gleichberechtigungsgesetzes (von 1953) durch das BVerfG 1957 mit einer bedeutenden Reform für Frauen, wird 1977 das Eherecht weiter reformiert zur Durchsetzung von Gleichheit.
M.E ist diese Reform 77 gescheitert. Nach wiederum 20 Jahren ist nach Herstellung formaler Gleichheit eine ungleiche Berechtigung erreicht. Die Kindschaftsrechtsreform 1998 hat dann abschließend für männliche Be-Rechtigung gesorgt.
Das Feststellen des Scheiterns möchte ich nicht als Klage verstanden wissen, sondern als Versuch der Darstellung eines rechtshistorischen Prozesses, der eingebunden ist in den gesamtgesellschaftlichen Prozeß, in dem Recht nur eine Variante ist, sowie das Feststellen des Scheiterns als unseren subjektiven und objektiven Irrtum, über den es nachzudenken gilt.
Die Gedanken zu diesem Text entsprangen einem gemeinsamen brainstorming der Redakteurinnen Jutta Bahr-Jendges und Susanne Pötz-Neuburger.
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Beschluß des OLG Koblenz
Beweisgebühr bei Anhörung zum (gemeinsamen) Sorgerecht
Bei der Anhörung der Eltern zum Sorgerecht gem. § 613 12 ZPO fällt eine Beweisgebühr an.
Beschluß des OLG Koblenz vom 8.6.1999 - 13 W F 326/99-
Der 13. Zivilsenat - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hahn und die Richterinnen am Oberlandesgericht Wolff und Darscheid am 8. Juni 1999 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Familiengerichts - Koblenz vom 11.5.1999 abgeändert.
Die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird gemäß § 123 BRAGO auf 1.351,40 DM festgesetzt.
Aus den Gründen:
Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist begründet.
Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nach türkischem Recht
Nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationsgerichtshofs kann Nachscheidungsunterhalt auch dann verlangt werden, wenn er im Scheidungsverfahren nicht geltend gemacht worden war. Wenn nach türkischem Recht ein gültiger Verzicht auf nachehelichen Unterhalt vorliegen würde, wäre dieser wegen eines Verstoßes gegen inländischen ordre public (Art. 6 EGBGB) unwirksam.
Urteil des OLG Hamm vom 10.12.1998 - 3 UF 74/98 OLG Hamm -
Aus den Gründen:
Der Klägerin steht gemäß Art. 18 Abs. 4 EGBGB i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 3 FamRÄndG, Art. 144 türkZGB dem Grunde nach ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zu. Es ist türkisches Recht anwendbar. Beide Parteien besitzen die türkische Staatsangehörigkeit und sind durch Urteil des Gerichts in Karakocan vom 13.7.1994, das unstreitig rechtskräftig ist, geschieden worden. Die Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs gemäß Art. 144 türkZGB für die Klägerin sind gegeben. Die Scheidung ist wegen Zerrüttung gemäß Art. 134 Ziff. 3 türkZGB erfolgt, so daß ein Verschulden der Klägerin, das den Unterhaltsanspruch hätte ausschließen können, nicht festgestellt ist.
Die Klägerin ist auch durch die Scheidung bedürftig
geworden.
Der gewöhnliche Aufenthalt in der Türkeit ist dann begründet, wenn gegen die Ablehnung einer Aufenthaltsgenehmigung für die BRD kein Widerspruch eingelegt worden ist. Der Unterhaltsbedarf in der Türkei ist auf die Hälfte des sich nach deutschem Recht ergebenden Betrages anzusetzen.
Urteil des AG-FamG-Herne vom 24.3.99 - 17 F 127/98 - n.rk.
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, sind miteinander verheiratet. Ihre Ehe ist im April 1994 in der Türkei geschlossen worden. Seit dem 11.7.1997 leben die Parteien voneinander getrennt. Am 22.5.1998 ist die Klägerin in die Türkei zurückgekehrt. Sie lebt seitdem im Haushalt ihrer Eltern. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Trennungsunterhalt in Anspruch.
Steuerfrei zu belassendes Existenzminimum eines Kindes
1. Art 6 Abs 1 GG gebietet, bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen:
a) Dabei bildet das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf.
b) Das einkommensteuerliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen - unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz - in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen.
c) Der Wohnbedarf ist nicht nach der Pro-Kopf-Methode, sondern nach dem Mehrbedarf zu ermitteln.
BVerfG, Beschluß vom 10.11.1998,2 BVl 42/93
§ 32 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26. Juni 1985 (Bundesgesetzbl. I Seite 1153) war in seiner Anwendung auf den Veranlagungszeitraum des Jahres 1987 mit Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als danach Eltern mit einem Kind nur einen Kinderfreibetrag von zusammen 2.484 Deutsche Mark beanspruchen konnten.
BVerfG, Beschluß vom 10.11.1998 - 2 BVR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91
1. Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 und2 GG) anknüpft.
2. Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert. Der Betreuungsbedaif muß als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums (vgl BVeifGE 82, 60 (85); 81, 153 (169ff.)) einkommensteuerlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden düifte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird.
3. a) Der Gesetzgeber muß bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs auch den Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.
b) Soweit das Familienexistenzminimum sich nach personenbezogenm Daten wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, muß - nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit - dieser Tatbestand so gefaßt werden, daß die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht.
Preis: 3.00 EUR
Urteil des EuGH mit Anmerkung von Heike Dieball
Tarifvertrag verstößt gegen EG-Recht: Weihnachtsgeld auch für sog. ungeschützte Beschäftigte
Art. 119 EG-Vertrag (die Art. 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Art. 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) ist so auszulegen, daß der tarifvertragliche Ausschluß unselbständig Erwerbstätiger, die eine Beschäftigung von regelmäßig weniger als fünfzehn Stunden in der Woche ausüben, bei der das Arbeitsentgelt regelmäßig einen bestimmten Bruchteil der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt und die deshalb sozialversicherungsfrei ist, von einer in diesem Tarifvertrag vorgesehenen Jahressonderzuwendung, der zwar unabhängig vom Geschlecht der Arbeitnehmer erfolgt, jedoch im Ergebnis prozentual erheblich mehr Frauen als Männer trifft, eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. (Tenor des Urteils)
EuGH, Urt. v. 9.9.1999, Rs. C-28/97 (A. Krüger / Kreiskrankenhaus Ebersberg)
Von Foren, Generationenkonflikten und Strukturwandel Ergebnisse der Teilnehmerinnenbefragung des 25. Feministischen Juristinnentages
Zum diesjährigen FJT führten wir Organisatorinnen eine Teilnehmerinnenbefragung durch, deren Ergebnisse vollständig im Reader der Tagung nachzulesen sind. Um jedoch die Diskussion um den FJT, seine Struktur und seine Inhalte etwas zu verbreitern, möchten wir Euch hier einige der Ergebnisse vorstellen. Gründe für eine Befragung gab es genug, auch wenn seit der letzten Teilnehmerinnenbefragung in Berlin 1997 erst zwei Jahre vergangen waren, da einige Neuerungen zu bewerten waren. So waren in Bremen erstmals Foren, Veranstaltungen von (geplanter) vierstündiger Dauer mit mehreren Referentinnen, durchgeführt worden und der letzte Tagungstag, der Sonntag, inhaltlich aufgewertet und zeitlich bis in den frühen Nachmittag verlängert worden. Auch wenn das Abschlußplenum hierzu schon ein Stimmungsbild vermittelte, können doch die 79 ausgewerteten von rund 250 ausgegebenen Fragebögen dieses Bild erweitern und vervollständigen.
Buchbesprechung: Sibylla Flügge: Hebammen und heilkundige Frauen. Recht und Rechtswirklichkeit im 15. und 16. Jahrhundert
Stroemfeld, Frankfurt und Basel 1998, 555 S.
(...) Als Juristin - Sibylla Flügge ist Rechtsprofessorin in Frankfurt und Redakteurin der STREIT - sind Ausgangspunkt ihrer Überlegungen die Rechtsquellen des 15. und 16. Jahrhundert zum Hebammenrecht: Hebammeneiden und Hebammenordnungen. Da Recht und Rechtswirklichkeit nicht identisch sind, hat sie jedoch auch die umfangreiche Literatur zur Medizin- und Alltagsgeschichte in der frühen Neuzeit und insbesondere die Forschungen von Historikerinnen in ihre Überlegungen einbezogen. So verweist auf die Forschungen von Barbara Duden, die in einer Analyse der Tagebücher eines Eisenacher Arztes von 1730 herausgearbeitet hat, daß die Empfindung von "Körper" starken historischen Wandlungen unterliegt und der Körper sich erst im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts als ein "selbstständiges Objekt sozialer Kontrolle" herausbildete.
Es ist eine beliebte und vielbeachtete These in der Frauenbewegung, daß Hebammen, die im Hexenhammer von 1487 als für Hexerei besonders anfällig erwähnt werden, die Hauptverfolgungsgruppe der Hexereiprozesse gewesen seien, weil sie über Abtreibungswissen verfügt hätten und weil das alte Frauenwissen durch die Entwicklung der medizinischen Berufe vernichtet werden sollte. Durch ihre detaillierte, kenntnisreiche und sorgfältige Beschäftigung mit den Rechtsquellen macht Sibylla Flügge deutlich, daß eine derart lineare Geschichtsauffassung falsch ist. Sie arbeitet stattdessen die Wechselbeziehungen zwischen der realen Alltagssituation, den rechtlichen Normierungsversuchen und den Einflüssen von Obrigkeit und Religion heraus. Dadurch entsteht ein sehr viel differenzierteres Bild über die Zusammenhänge zwischen der Lage der gebärenden Frauen, der Hebamm und den politischen Veränderungen der frühen Neuzeit.
Endlich! Individualbeschwerde im Fall von Diskriminierung UN-weit
Am 19. März 1999 verabschiedete die UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau einvernehmlich ein Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Frauendiskriminierung (CEDAW). Darin ist vorgesehen, daß gegen einen Staat, der den Vertrag ratifiziert hat und in der Folge gegen die Vertragsbestimmungen verstößt, ein Beschwerdeverfahren eingeleitet werden kann. Der Text muß von der Vollversammlung der Vereinten Nationen noch angenommen werden. Ein Fakultativprotokoll zu den Menschenrechten ist ein Vertrag, der von denjenigen Ländern unterzeichnet und ratifiziert werden kann, die den grundlegenden Vertrag ratifiziert haben.